Panik geht um! Angst macht sich breit. Untergangsprophetien in der Dauerschleife. Und dazwischen immer wieder die hyperventilierenden Kinderscharen auf den Straßen und Plätzen. “Es ist fünf vor Zwölf!”, so der breite Tenor. “Wer jetzt nicht sofort umkehrt, ist mitschuldig am Weltuntergang!” Manch aussenstehender Betrachter zögert noch und tröstet sich mit dem jugendlichen Überschwang der Klimabewegten. Das beruhigt sich schon wieder! Das zieht vorüber…! Doch es wird einfach nicht besser. Im Gegenteil: Das Europäische Parlament verkündet den “Klima-Notstand”, ruft nach der Notbremse und stimmt lauthals ein in den Chor der Apokalyptiker. – Was ist da los? Wo sind die Stimmen der Vernunft geblieben? Woher kommt dieses schroffe Entweder-Oder, dieses Apodiktische, dieses Rechthaberische in der Debatte? Kennen wir das nicht irgendwoher?
Vernunftbegabt
Wenn etwas den modernen, vernunftbegabten Menschen, den “Homo sapiens”, auszeichnet, dann ist es sein suchender, forschender, nach Problemlösung ringender Geist. Geübt im aufrechten Gang, die Vorderextremitäten frei für “konstruktives” Gestalten, haben die Hominiden schon im Hordenverband begonnen, die Grenzen ihres Alltags zu verschieben. Immer größere Gemeinschaften bildend, immer neue Ufer erkundend und immer mehr weiße Flecken erobernd, erschloß sich Homo sapiens über die Jahrtausende hinweg seine ihn umgebende Welt.
Stets strebend bemüht
Erst das Rad, dann der eiserne Pflug zusammen mit dem eisernen Schwert, dann das Uhrwerk zur Zeitmessung, den Sextanten zur nautischen Navigation und schließlich der Eintritt ins Zeitalter der Motoren. Und dabei immer das gleiche konstruktive Prinzip: Problem erkannt, Hindernis identifiziert, Plan entworfen, mit Modelllösungen und Prototypen experimentiert und dann die Lösung Schritt für Schritt in die Praxis übersetzt. Nie aufgebend, nie verzagend und immer auf die eigene kreative Kraft vertrauend.
Weltflüchtlinge
Potzblitz! Ist das nicht nur ein Idealbild, das hier gezeichnet wird? Eine Retrospektive, die den vernunftbegabten Menschen überhöht und ihm Kräfte andichtet, die er gar nicht hat? – Tatsächlich! Es gibt sie, die andere Seite, die eher resignative, die Seite am Menschen, die sich in der Prähistorie über den primitiven Fluchtinstinkt ausgelebt hat und sich seit den frühen Hochkulturen in der Weltflucht der Religionen manifestiert. Trotz unserer enormen kreativen Fähigkeiten, unserer Handwerker-Gene macht uns – neben der riesenhaften kosmischen Dunkelheit, die uns umgibt – vor allem die unergründliche Naturgewalt immer wieder heftig zu schaffen.
Angstlast
Jahrtausende hindurch, verkriechen wir uns unter dem Tisch, wenn es blitzt und donnert. Über Jahrtausende hinweg drückt uns die nackte Angst vor der Mißernte. Vor dem Heuschreckenschwarm, der über uns hinweg geht. Vor der Sintflut, die uns hinweg spült. Vor dem Wolkenbruch, der die Ackerkrume hinweg schwemmt und vor dem Vulkan, der unsere Städte und Dörfer unter Lavamassen versinken lässt. Selbst die Säkularisation, die Verweltlichung unseres Denkens, die bürgerliche Aufklärung, die technisch-industrielle Revolution haben uns von dieser Angstlast nicht befreit.
Wir sind zwar per saldo immer besser geworden, immer rechenhafter, immer “fortschrittlicher”, immer wissenschaftsgläubiger. Was wir aber – trotz unserer gigantischen technischen Errungenschaften – nie abgelegt haben, ist die Urangst vor dem plötzlichen Aus, vor dem unvermittelten Ende, die uns Sterbliche überfallartig in der Regel immer dann überfällt, wenns uns besonders gut geht. Die Angst vor der Fallhöhe korreliert signifikant mit dem Level unseres Wohlstands.
Wer gewinnt die Oberhand?
In unserer Janusköpfigkeit gefangen und eingeklemmt zwischen zwei Polen stehen wir aktuell am Scheideweg. Wir haben die Wahl! Verlassen wir uns auf unseren Erfindungsreichtum, unsere angeborene Kreativität, unseren Wettbewerbseifer im Kampf um die besten Lösungen oder setzen wir auf Verbote und öffnen uns den Angstmachern, den Apokalytikern, den Hysterikern? Angesichts der beispiellosen Erfolgsgeschichte der “motorengetriebenen Moderne” und in Anbetracht der phänomenalen Fortschrittsgewinne der letzten 250 Jahre dürfte die Entscheidung eigentlich nicht schwer fallen. Zu offensichtlich übersteigt das Pluskonto des Homo faber, das Defizitkonto des Homo religiosus.
Dass der weitere Fortgang des Geschehens an der Klimafront dennoch unbestimmt ist, hat mit der beschriebenen Angstlast und mit unserer chronischen Anfälligkeit für Untergangsprophetien zu tun. Selbst als überversicherte Bewohner von mächtigen Komfortzonen und komplex vernetzten High-Tech-Welten ist unsere Resistenz gegenüber religiös-endzeitlichen Botschaften immer noch unterentwickelt.
Eine neue Kirche?
Wenn nicht alles täuscht, gibt es deutliche Anzeichen für eine neuzeitliche Religionstiftung, wie wir sie seit der Entstehungsphase der großen Monotheismen nicht mehr erlebt haben. Die Indizien für diese These sind zugegebenermaßen noch recht vage und zeigen sich erst in Rudimenten. Dennoch verdichten sich die Vorzeichen auf derart eindrückliche Weise, dass es fahrlässig wäre, einfach darüber hinweg zu sehen.
So sind die historischen Parallelen zur endzeitlich konnotierten Naherwartung des Frühchristentums, zu den chiliastischen Buß-Bewegungen des Mittelalters*, den radikalen Täuferbewegungen der Reformation und den großen Erweckungsbewegungen des US-amerikanischen Protestantismus einfach nicht zu leugnen. Darüber hinaus trägt der “Weltklimarat” IPCC untrügliche Züge einer Art “Klima-Kurie”, die zwischen den “Klima-Konzilen”, wie aktuell in Madrid, kanonische Texte produziert. Daneben gibt es feste Liturgien, in denen das Auftreten kindlicher Glaubenszeugen** und das laute Deklamieren immergleicher Verse zum Standardprogramm gehört.
Wie bei den oben genannten historischen Vorläufern spürt man das Unbedingte der Botschaft, den unermüdlichen Missionseifer und das Erlösungsreligiöse des Therapieangebots. Selbst die strafende Allmacht des Allerhöchsten scheint bei den Klimabewegten ihren Platz zu haben. Mit dem einzigen Unterschied, dass es hierzu keines umständlichen Gottesbeweises mehr bedarf, sondern die Höllenstrafe des “Hitzetodes” ohne komplizierte transzendente Umwege zu uns kommt.
Zunehmende Unversöhnlichkeit
Noch ist unklar, ob sich die erwähnten Vorzeichen tatsächlich zu festen Wegmarken entwickeln werden. Das zunehmend dogmatische Auftreten von Teilen der Klimabewegung stößt vor allem bei denjenigen auf wachsende Skepsis, die sich auch bisher schon immun gezeigt haben, gegenüber den Zudringlichkeiten weltanschaulicher Systeme.
Sorgenvoll stimmt vor allem die wachsende Unversöhnlichkeit des radikalen Flügels der Klimabewegung. Gruppen wie “Extinction rebellion” könnten schon bald den Weg des “zivilen Widerstandes” verlassen und zu offener Gewalt greifen, wenn sie zu der Überzeugung gelangen sollten, dass das “System” nur mit Gewalt an der weiteren Ausbeutung der Natur und des Klimas gehindert werden kann. Noch sind die Demonstrationen à la “Fridays for Future” weitgehend friedlich und ähnlich wie die Studentendemos der ausgehenden 60er Jahre noch fast ausschließlich happening-artig. Sollte sich aber die immer deutlicher artikulierte “Fünf vor Zwölf-Rhetorik” nicht mäßigen, sind gewalttätige Eskalationen nicht mehr auszuschließen.
CO2-Kollekte
Richtig gefährlich wird es dann, wenn selbst die “A-Religiösen” unter den Klimabewegten zu dem Kurzschluss gelangen, dass Rettung bzw. Erlösung nur möglich ist, wenn wir die Grundlagen unseres Wohlstandes systematisch demontieren, ganze Industrien einstampfen und den gleichzeitigen Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft radikal beschleunigen. Mittlerweile wird zumindest in weiten Teilen der Öffentlichkeit das Sägen am tragenden Ast nicht mehr einfach nur nüchtern kommentiert, sondern geradezu euphorisch begrüßt. In “Tagesschau” und “Heute Journal” fällt zwischenzeitlich jede eingesparte Tonne CO2 wie eine Kollekte in den Klingelbeutel und wird wie ein moderner Ablass auf die Sündenstrafe gefeiert.
Konsenszwang
Aktuell rührt sich gegen den eingeschlagenen Kurs kaum noch Widerspruch. Nur ein paar unverbesserliche “Klimaleugner”, die längst an der Kirchentür abgewiesen werden, rufen noch von der Seite herein. Sie finden aber weder im politischen noch im medialen Raum hörbare Resonanz. Selbst wissenschaftlich fundierte Stimmen, die Zweifel an der Dimension des menschengemachten Klimawandels anmelden*** oder die anstehenden Herausforderungen eher über den Markt oder über Innovationen, statt über Regulierung und Verbote bewältigen wollen, bleiben weitgehend ungehört. Wissenschaftliche Erkenntnisse über den Kohlenstoffkreislauf, der seit Beginn der Industrialisierung über die Zunahme der C02-Emissionen zu einem überproportionalen Pflanzenwachstum geführt hat, bleiben ebenso unberücksichtigt, wie die massiven Unschärfen bei der Messung von “Welt-Durchschnittstemperaturen”.
Notstandsregime
Dass Missionsbewegungen “Notstände” brauchen, um Menschen “aufzuwecken” und zu mobilisieren, steht außer Frage. Das schafft einerseits zwar erhöhte Dynamik, erzeugt andererseits aber eine gefährliche Schieflage vor allem in demokratisch verfassten Gesellschaften. Wer politisch-systemische “Notstände” ausruft – das wissen wir aus der Geschichte – hantiert auf gefährliche Weise mit “Notverordnungen” oder “Notstandsgesetzen”. Er schafft Raum für das notfall-bedingte Außerkraftsetzen von Menschen- und Bürgerrechten. Und er schafft Spielräume für autoritäre Eingriffe in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Bremsspuren
Massive Bremsspuren dürfte der beschleunigte Aufgalopp in der Klimapolitik vor allem im sozialen Bereich hinterlassen. Da beim Wettrennen um die radikalsten “CO2-Einsparungen” kaum noch Rücksicht auf Wettbewerbsnachteile und technologische Zyklen genommen wird, zeichnen sich in Teilen der Wirtschaft bereits jetzt erhebliche Verwerfungen ab. Aktuell manifestiert sich das vor allem im Niedergang der deutschen Automobilindustrie (Hersteller und Zulieferer) und im Widerstand der bäuerlichen Landwirtschaft gegen existenzgefährdende Eingriffe in den Landbau und in die Tierhaltung.
Mit den Bauern, die gerade von ihrer Protest-Sternfahrt aus Berlin zurückgekehrt sind, haben sich erstmals in Deutschland in einer nennenswerten Bevölkerungsgruppe offen Zweifel an der Alternativlosigkeit des “großen Umbaus” artikuliert. Ob das reichen wird, um eine Richtungsänderung zu bewirken, ist jedoch – trotz der großen Resonanz in den sozialen Medien – mehr als fraglich. Eine politische Glaubenslehre mit starkem Missionseifer, staatlicher Protektion und medial gepuschten Galionsfiguren wird den aufkeimenden Protest wohl eher als Ansporn empfinden.
* Aus der vielgestaltigen Laien- und Bußbewegung des 13. und 14. Jahrhunderts in Europa ragten vor allem die sog. “Geißler” oder “Flagellanten” hervor. Sie zelebrierten einen radikalen Asketismus und zogen, immer wiederkehrende Hymnen deklamierend, in prozessionsähnlichen Zügen durchs Land und traktierten ihre ausgezehrten Körper mit Geißeln, um Gott gnädig zu stimmen.
** In diesem Zusammenhang ist vor allem die 16jährige Schwedin Greta Thunberg zu nennen, die wie keine andere zum märtyrerhaften “Gesicht” der Klimabewegung geworden ist. Der Kult um ihre Person nimmt in den Reihen ihrer treuesten Anhänger mittlerweile quasireligiöse Züge an, wobei vor allem ihre “seherischen” Fähigkeiten immer wieder herausgehoben werden. So behauptet z.B. ihre Mutter in der 2018 erschienenen Familienbiographie “Szenen aus dem Herzen”, dass Greta die Fähigkeit habe “CO2 mit bloßem Auge zu erkennen.” (Zitat: “Greta gehört zu den wenigen, die unsere Kohlendioxide mit bloßem Auge erkennen können. Sie sieht, wie die Treibhausgase aus unseren Schornsteinen strömen, mit dem Wind in den Himmel steigen und die Atmosphäre in eine gigantische unsichtbare Müllhalde verwandeln. Sie ist das Kind, wir sind der Kaiser. Und wir sind alle nackt!”) vgl. u.a. https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/klimaaktivistin-greta-vorabdruck-aus-dem-buch-der-thunbergs-16160815.html
*** Das tausendfach verbreitete “Zitat” aus dem 2013 veröffentlichten sog. “Cook-Bericht” , dass 97 % der Klimawissenschaftler, den Klimawandel als einzig und allein “menschengemacht” einstufen, ist irreführend. Wer genau nachliest, erkennt, dass die Wissenschaftler lediglich die Auffassung vertreten, dass der Mensch mit seinen Emissionen zum Klimawandel beiträgt. Zur Dimension des humanoiden Anteils und den daraus abzuleitenden Umfang an “Gegenmaßnahmen” gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse . Vgl. u.a. https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/klimawandel-97-prozent-konsens-bei-klimaforschern-in-der-kritik-a-992213.html