Gelderosion

“Geld regiert die Welt”, “Money makes the world go round”, “Ohne Moos nix los”! – Die in der Regel der Volkssprache entlehnten Wendungen zur Beschreibung der “Geldherrschaft” sind schier unerschöpflich. Wenn es einen Stoff gibt, der die Welt im Inneren zusammenhält, dann ist es das sagenumwobene “Pecunia”, das universelle Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel namens Geld.

Was passiert wenn Geldsysteme kollabieren oder Währungsräume implodieren hat die Menschheit in ihrer Geschichte bereits mehrfach heftig am eigenen Leibe gespürt. Zu behaupten, wir seien aus diesen Geldkrisen schlauer geworden, wäre stark übertrieben. Im Grunde sind wir nicht nur nicht schlauer geworden, sondern tendieren dazu im Prozess eines sprichwörtlichen Negativlernens sogar elementare ökonomische Gesetze außer Kraft zu setzen (“unkonventionelle Geldpolitik”) – Was passiert da gerade? Und wie konnte es in Sachen Gelderosion überhaupt soweit kommen?

Hinabgleiten in eine Systemkrise?

Um die aktuell im gestreckten Galopp befindliche Konsumgüterpreis- Inflation1 erklären zu können, reicht es einfach nicht aus, lediglich aktuelle Knappheitssignale an der Öl- und Gasfront mit dem Rechenschieber aufzuaddieren. Die Ursachen des aktuellen Inflationsdilemmas liegen deutlich tiefer und beschreiben nicht nur temporäre Energiepreisschübe, sondern offenbaren vielfältige Anzeichen für eine fundamentale Geldsystemkrise.

Nixon-Schock

Angefangen hat alles mit dem sog. “Nixon-Schock” am 15. August 1971, als das Weiße Haus die Goldbindung des Dollar aufhob und nach langen Wehen das bis dahin weit geöffnete Goldfenster krachend schloss. Dieses Datum lässt sich als Geburtsstunde des sog. “Fiat Money” umschreiben. Von diesem Tage an war das zirkulierende Geld tatsächlich nur noch bedrucktes Papier. Papier ohne realen Wert, ein pures Versprechen seitens der Regierungen und Notenbanken.

Was folgte, war eine lange Phase der hohen Preise von Anfang der 70er bis Anfang der 80er Jahre, immer wieder getrieben – ähnlich wie heute – durch Energiepreisschocks (1973/74 und 1979/80), die sich nicht nur in deutlich gestiegenen Öl- und Gaspreisen, sondern bedingt durch Zweitrundeneffekte, auch in den anderen Konsumgütersektoren niederschlugen.

Der Inflationsmotor lief fast ein Jahrzehnt lang auf Hochtouren. Die Inflationsraten wurden in der Spitze zweistellig, die Geldmengen in den westlichen Industrieländern expandierten und die Preise und Löhne wechselseitig aufschaukelnde Lohn-Preis-Spirale begünstigte Massenarbeitslosigkeit und soziale Verwerfungen.

Volcker-Schock

An ein vorläufiges Ende kam dieser einschneidende Inflationsprozess erst Anfang der 80er Jahre mit dem sog. “Volcker-Schock”. Der 1979 von US-Präsident Jimmy Carter eingesetzte Fed-Chef Paul Volcker brachte die Mega-Inflation durch eine massiv restriktive Zins- bzw. Geldpolitik abrupt zum Stehen. Mit Hypothekarzinssätzen von in der Spitze 18 % rutschte die US-Ökonomie und mit ihr weite Teile der westlichen Volkswirtschaften tief in die Rezession.

Doch schon 1982 wendete sich das Blatt. Die Inflation glitt zurück in den niedrigen einstelligen Bereich (1982: 4 %), die Fed konnte die Zinsen wieder senken und auf diese Weise die Konjunktur nachhaltig ankurbeln.

Dieses zugegebenermaßen unpopuläre geldpolitische Manöver sollte für die nächsten 40 Jahre das Letzte seiner Art bleiben. Was dann folgte, wirkt im Nachhinein betrachtet, wie ein lang gezogenes Präludium zu unserer heutigen Notlage. Ein Präludium, dass sich auf dem Notenblatt der Notenbanken in stakkatoartigen Wellenbewegungen vollzog.

Monetary Supercycle2

Zunächst noch in einer gedämpften Seitwärtsbewegung in den 80er Jahren, wo in einer langen Phase positiver Realzinsen das Prinzip der Supply Side Economics (Reaganomics, Thatcherismus) dominierte, rollte von da an eine Geldexpansionswelle nach der anderen durchs Land. Das Besondere dabei war, dass nicht nur die Amplituden dieser disruptiven Wellen von Welle zu Welle anstiegen (“Immer mehr Geld”), sondern auch die Abstände zwischen den Ausschlägen immer kürzer wurden.

Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von einem sog. Monetary Supercycle, der mit ersten flachen Wellen (Fiat-Money- Welle Anfang der 70er Jahre und Deficit-Spending-Welle in den 70er und 80er Jahren) begann, erste Höhepunkte mit dem sog. “Greenspan Put” im Rahmen des Dotcom-Booms und mit der Subprime-Krise (2007-10) erlebte und dann ab 2010/11 (Euro-Krise) bzw. ab 2020 (Corona-Krise) in eine lang gezogene Kulminationsphase einschwenkte.

Kreative Geldvermehrung

Geprägt waren all diese monetären Wellenbewegungen nach oben von signifikanten Geldmengenausweitungen. Die westlichen Notenbanken wurden dabei von Welle zu Welle kreativer was das Kreieren von Expansionsideen anbetrifft. Als das stetige Absenken der Leitzinsen bis auf Null und dann sogar in den Minusbereich nicht mehr ausreichte, gingen die Zentralbanken dazu über den Geschäftsbanken systematisch Staatsanleihen abzukaufen (Quantitative Easing). Und als auch das nicht mehr ausreichte und der Protest gegen die verdeckte Staatsfinanzierung  insgesamt eher verhalten blieb, gingen Fed und EZB zur offenen Monetarisierung der Staatsschulden über.

Allein zwischen 2008 (Subprime-Krise) und 2021 verzehnfachte sich die Bilanzsumme der US-amerikanischen Notenbank. Ein dramatischer Wert (+1000 %), wenn man bedenkt dass sich das Bruttoinlandsprodukt in den USA im gleichen Zeitraum lediglich um 50 % (!) erhöhte. In der EZB-Bilanz führte der Expansionsprozess zwar nur (!) zu einer Versechsfachung der Bilanzsumme (+ 600%), parallel dazu stieg aber das Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union nur um rund 35 %.

Temporäres Phänomen?

Nun wird von berufener, aber zunehmend auch von nicht berufener Seite immer wieder eingewandt: Natürlich hat sich im Zuge der expansiven Geldpolitik in den letzten Jahrzehnten ein exorbitanter Geldüberhang ergeben, aber relevante Übertragungseffekte (Spillover) haben Politik und Notenbanken fast 40 Jahre hindurch zurückdämmen können.

Bis vor kurzem lagen die Inflationsraten in der westlichen Welt regelmäßig unter der magischen Grenze von 2 % und auch das, was wir aktuell erleben – nämlich bis zu 8 % Inflation – wird nur vorübergehend sein und sich rasch wieder normalisieren – so die professionellen Relativierer.

Blasenbildung

Gegen diesen Einwand sprechen die riesigen Blasenbildungen an den Vermögensmärkten. Sowohl die Börsenindizes als auch die Immobilienpreisniveaus vor allem in den Ballungsräumen jagen seit Jahren von Rekord zu Rekord. Das viele Geld sucht sich Anlagemöglichkeiten, zum Teil ohne jede Sinnhaftigkeit, und erzeugt auf diese Weise gefährliche Überhitzungsphänomene.

Dass es so lange gedauert hat, bis der massive Geldüberhang sich flächendeckend in Preissteigerungen auch auf den Konsumgütermärkten niedergeschlagen hat, dürfte den großen preisdämpfenden Gegenbewegungen vor allem seit den 80er Jahren zu verdanken sein.

Preisdämpfende Gegenbewegungen

Genannt wird hier immer wieder der Aufstieg Chinas zur weltweit aktiven Industrie- und Handelsmacht (Angebotsausweitung), die Demoskopie (Überalterung) sowie der rasante Digitalisierungsprozess (Produktivitätssteigerungen). Diese schubweise vorangehenden Prozesse dürften in erheblicher Weise dämpfend auf die weltweite Preisentwicklung gewirkt haben.

Das große Problem scheint zu sein, dass diese gegenläufigen Effekte zunehmend an Wirksamkeit verlieren. Das dürfte nicht nur mit der aktuellen Lieferketten-Problematik und der massiv Wachstum kostenden Zero-Covid-Politik der Volksrepublik China zu tun haben, sondern auch in einem tendenziellen Erlahmen der Innovationsdynamik, vor allem im Bereich der Digitalisierung, begründet sein.

Systemische Krise

Eine Prognose für die Entwicklung – sagen wir – bis 2025 anzustellen, ist alles andere als leicht. Fest steht: Die aktuell grassierende Inflation ist systemisch bedingt. Auf eine lang gezogenen Asset-Price-Inflation folgt nun eine hartnäckige realwirtschaftliche Inflation. Die Nationalstaaten werden kaum effektiv gegensteuern, weil die Aussicht auf “Entschuldung” via Inflation besteht und eine zinssteigerungsbedingte Rezession mit allen Mitteln verhindert werden soll.

In jedem Fall an ein Ende gelangt sein dürfte die Krisenbekämpfung durch immer mehr Geld. Die Munition ist buchstäblich verschossen. Die Märkte sind mit Liquidität regelrecht übersättigt und die Anreizwirkung von weiteren Geldschüben geht faktisch gegen 0.

Krisenbekämpfung ohne Instumente

Was das für die Krisenbewältigung im Zusammenhang mit der Post- Corona-Krise bzw. der Ukraine-Krise bedeutet, ist aktuell kaum seriös zu prognostizieren. Das vorsichtige “Tapering” der Notenbanken an der Zinsfront dürfte kaum zu einer nennenswerten Absenkung der Mega-Inflation führen. Fed und EZB müssen im Gegenteil aufpassen dass sie nicht zu reinen “Bad Banks” der jeweiligen Nationalstaaten mutieren.

Wer Jahre lang das Einhalten des 2 %-Ziels predigt und dann bei einer vierfach so hohen Inflationsrate den Leitzins nur marginal in ganz kleinen Schritten anlupft, verliert in der Öffentlichkeit dramatisch an Vertrauen.

Gefahr der anhaltenden Stagflation

Die schon weit vorangeschrittene Vertrauenskrise wird über kurz oder lang auch diejenigen Bevölkerungsteile erreichen, die bislang noch unter einem ausgeprägten “Blind spot” leiden.3 Diesen Zeitpunkt sollten die Notenbanken auf keinen Fall abwarten. Die Zeit zur Umsteuerung drängt. Hoffen wir nur, dass die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts nicht zum Zeitalter der großen Stagflation werden.

 

1 Die Inflationsrate im Euro-Raum steigt stetig an. Zwischenzeitlich liegt der Wert (für Mai 2022) bei 8,1 %. Der höchste Stand seit Einführung der Gemeinschaftswährung. Die Erzeugerpreise in der Euro-Zone stiegen gegenüber dem Vorjahr um 38 (!) %. In Deutschland oszilliert die Inflationsrate ebenfalls um die 8 %. Allein die Nahrungsmittelpreise in Deutschland sind um 11,1 % gestiegen.

2 Zu den Details des “monetären Superzyklus”, zu den einzelnen Geldexpansionswellen und zu den Spillover-Effekten des Geldüberhangs vgl. u.a. eine aktuelle Studie des FERI-Instituts aus dem Jahre 2021.  

3 Erschwert wird der Erkenntnisprozess durch das Phänomen der sog. Geld(wert)illusion. Der reale Wert des Geldes wird mit dem nominalen verwechselt und der Bürger unterliegt zumindest temporär einer Art Wohlstandsillusion. Studien belegen, dass sich z.B. Lohnempfänger bei zwei Optionen (3 % Lohnerhöhung bei 4 % Inflation bzw. 1 % Lohnerhöhung bei 1 % Inflation) in der Regel für die erste Variante entscheiden.