Pyramidenspiele

Pyramiden sind uns vor allen als momunentale Grabmäler ägyptischer Pharaonen überliefert. Seit rund 4.500 Jahren blicken wir Menschen nun schon auf diese beeindruckenden Zeugnisse erhabener Baukunst. Dass sie auch Sinnbilder sein können für einen aus den Fugen geratenen Finanzkapitalismus dämmert uns vage erst seit einigen Jahrzehnten. Was wohl damit zusammenhängen dürfte, dass uns ein zu intensiver Blick auf das Geschehen ohnehin nur schwindelig machen würde und uns vielleicht sogar irre werden ließ, an dem was unser Wirtschaftsmodell trägt. – Der folgende Seitenblick soll uns deshalb keine Angst machen, sondern nur dabei helfen aufzuklären, über die Funktionsbedingungen einer Welt(finanz-)wirtschaft, in der laufend neue Pyramiden in Form hochriskanter Vabanque-Spiele in den Himmel schießen.

Bitcoins

Jüngstes Beispiel für dieses heikle Spiel ist der Eintritt ins Zeitalter der sog. Kryptowährungen. Eine besonders jungfräuliche Spezies am Finanzhimmel, die ihre ersten Wurzeln erst vor wenigen Jahren in den Bars, Coffeeshops und Start-up-Buden von Greenwich-Village im Westen Manhattans hervor trieb und mittlerweile in den Hochburgen des weltumspannenden Finanz-Monopoly von einem Hype zum nächsten spurtet. Zum Jahresende 2017 betrug die Marktkapitalisierung auf dem Felde der Kryptowährungen sage und schreibe 580 Mrd. Dollar. Obwohl momentan Hunderte von solchen Phantasieprodukten die Finanzmärkte erobern, sind es vor allem die sog. Bitcoins, die ganze Anlegerscharen in Aufregung versetzen. Mit einer Marktkapitalisierung von rd. 263 Mrd. Dollar beherrscht dieser EDV-technisch generierte Homunkulus mittlerweile einsam die Ranking-Listen des Krypto-Booms.

Bei all dem Gewese um dieses Zauberprodukt, dass kürzlich für astronomische 20.000.- Dollar pro Stück gehandelt wurde, fragt man sich natürlich: Was ist das eigentlich, eine Kryptowährung? Eine Währung, die man nicht anfassen kann und die mit Hilfe von Hochleistungscomputern erzeugt wird und dabei absurde Strommengen “frißt” ? Was soll das? Was steckt dahinter? – Selbst Experten dürften aktuell den tieferen Sinn und den praktischen Mehrwert dieser Konstrukte nicht mehr so recht erklären können. Ursprünglich mal in den Hexenküchen der Hackerszene entstanden und als fälschungssicheres Zahlungsmittel im Cyberspace gedacht, haben sich diese Kryptowährungen mittlerweile fast vollständig aus ihrem praktischen Funktionszusammenhang gelöst und sind zu phantastischen Spekulationsobjekten geworden. Nach dem Prinzip “fear to be without” stürzen sich momentan nicht nur professionelle Anlagegesellschaften, sondern auch immer mehr Kleinanleger auf diese dubiosen Finanzprodukte.

First mover

Das Muster, dass diesem gier-getriebenen Run zugrunde liegt, ist ganz nahe an einem klassischen Pyramidenspiel. Die Erfinder und Front-Runner der Bewegung eilen – getragen von sagenhaften Kursphantasien – in Richtung Pyramidenspitze und erklimmen, alimentiert von unten immer neu dazutretenden Anlegern, Schritt für Schritt einsame Höhen. Das System funktioniert prächtig, solange der kleinen Schar der “First mover” eine wachsende Zahl von Followern nachfolgt. Bedingt durch immer neues, frisches Geld, das angelockt durch traumhafte Renditen in das System einströmt, heimsen auch einige “Late Mover” in den mittleren Etagen der Pyramide Gewinne in Form von Kurssteigerungen ein. Diese wiederum sorgen dafür, dass sich die Pyramidenbasis ständig verbreitert und dass das hochgradig illusionäre Konstrukt weiter boomt.

Historische Beispielfälle – wie z.B. die Tulipomania im “goldenen Zeitalter” der Niederlande in den Jahren 1636/37 oder das Ponzi-System in den USA in den Jahren 1919ff. oder aktueller noch das 2008 aufgeflogene System des Anlagebetrügers “Bernie” Madoff – belegen die geringe Halbwertszeit solcher Luftschlösser und die verheerenden Konsequenzen vor allem für Tausende von Kleinanlegern. Dass sich solche Phantasie-Konstrukte trotzdem immer wieder bilden und diese Systeme eine fast magische Anziehungskraft auch auf Normalbürger ausüben, hat ohne Zweifel etwas mit einem tief in der menschlichen Natur verankerten Bereicherungsmotiv zu tun, das im äußersten Fall keine Grenzen kennt. Der gierdynamische Aufbau unserer Konsumwelten und das schier unstillbare “Auch-haben-Wollen” läßt immer wieder Raum für hemmungslose Finanz-Illusionen, betrügerische Schneeballsysteme und bisweilen sogar simple Kettenbrief-Betrügereien.

Fresh Money

Wie gefährlich Pyramidenspiele oder besser noch ihre großen Schwestern für die finanzielle Stabilität von Volkswirtschaften sein können, haben die jüngsten Finanzkrisen offenbart. Das Platzen der sog. “Dotcom-Blase” im Jahre 2000 oder die Kursstürze im Zuge der Subprime-Krise in den Jahren 2007ff. waren in ihrem Kern, Resultate von heißgelaufenen Spekulationskonjunkturen. Zwar stand in diesen Fällen noch ein gewisser realer Wert hinter den Finanzprodukten, aber in beiden Fällen hat die Spekulation nur solange funktioniert, solange genügend “fresh money” nachgeschoben wurde. Am Ende erwiesen sich die gehandelten “Werte” als hoffnungslos übersteigert und gnadenlos hochgejazzt durch immer neue Kursrallyes. Leider sieht es angesichts der neuerlichen, zentralbankgesteuerten Geldflut so aus, als sei der nächste Kollaps bereits vorprogrammiert.

Ebenso schwer wie das Prognostizieren des Eintrittszeitpunkts solcher Kollapsphänomene ist das Voraussagen ihrer (real-)wirtschaftlichen Folgen. Dass das Pyramidenspiel rund um die Kryptowährungen das ohnehin prall gefüllte Geldfaß des Weltfinanzsystems zum Überlaufen bringen könnte, ist nicht ausgeschlossen. Die Warnsignale für die, die sie sehen wollen, sind schwerlich zu übersehen. Nur haben auch derartige Frühindikatoren im Vorfeld früherer Finanzkrisen kaum zum Beidrehen geführt. Der Reiz des großen Spiels mit dem großen Geld war einfach zu verlockend, als das irgendwelche namhaften Mitspieler bereit gewesen wären, vorzeitig den Spieltisch zu verlassen.  Den Kipppunkt erreicht das Ganze erst, wenn der “Bullen-Algorithmus” – durch eine Phase der tiefen Volatilität gewarnt – plötzlich das allgemeine Verkaufssignal aussendet. Dann heißt es “If you panic, panic first” und der Umkehrschub reißt die Maschine nach unten.

Spielverderber

Der daraufhin folgende Crash ist dann effektiv kein Spiel mehr und schlägt wie immer auch auf Unternehmen der realen Wirtschaft und auf deren Beschäftigte durch. Andererseits – und das haben alle Krisen dieser Art gezeigt – kann man schon jetzt sicher sein: Nach der Krise ist vor der Krise! Das tief in uns schlummernde Bereicherungsmotiv wird auch nach dem x-ten Crash den Traum von der Überbelohnung weiter befeuern und wieder Lust machen, auf ein weiteres Spiel – bis es dann am Schluß wieder heißt: “The game is over! – Rien ne va plus! – Nichts geht mehr!”