Vater Staat

Die Neigung komplexe Systeme durch ihre “Vermenschlichung” begreifbarer zu machen und auf diesem Wege gleichzeitig mit einem tieferen Sinn “aufzuladen”, ist so alt wie die menschliche Beschäftigung mit diesen Systemen selbst. Eine der über Generationen hinweg wohl populärsten Wendungen dieser Art, ist die vom Vater Staat.* Kaum ein Begriffspaar dürfte im Kontext des neuzeitlichen Denkens eine derartig starke historische Wirkungsmacht entfaltet haben, wie diese hoch-assoziative Metapher vom Staat als Vater-Ersatz. – Was hat es mit dieser Wendung auf sich? Hat sie angesichts von gesellschaftlichem Pluralismus, globalisierten Märkten und Frauenemanzipation überhaupt noch nennenswerte Relevanz? Oder erlebt sie gar angesichts staatlicher Gesundheitsregime, massiv steigender Staatsquoten und exekutiver Machtfülle gerade eine spektakuläre Renaissance?
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Billiggeldpolitik

Im Grunde wissen wir es seit langem: Was da an den Geld- und Finanzmärkten abläuft, ist ein reines Vabanque-Spiel. Ein Spiel mit immer höheren Einsätzen, immer absurderen Transaktionen und einem Regelwerk, das eher an Spielanleitungen für Casinobetreiber, als an reguläre Marktordnungen erinnert. Dass wir uns das Ganze trotzdem immer noch “schönrechnen” können, hat mit einer Art “Kollapsverzögerung” zu tun, die wie ein allmähliches Herabgleiten auf der schiefen Ebene wirkt und die es den Verantwortlichen seit vielen Jahren ermöglicht die wahren Folgen ihres Tuns gegenüber der breiten Öffentlichkeit zu camouflieren. – Ins Trudeln kommt das wacklige Projekt immer dann, wenn die Blasen platzen, wie zuletzt 2007/08  oder wie jüngst, als Politik, Finanzwirtschaft und Medien zugeben mussten, dass die heftig rotierende Preisspirale auch auf den Konsumenten durchzuschlagen beginnt. „Billiggeldpolitik“ weiterlesen

Rückzug

Wenn dieser Ruf erschallt, muss es meistens schnell gehen. Zusammenpacken, das Nötigste schultern, ein letzter Blick nach vorn und dann nichts wie weg. Mit kurzen Sprüngen von Deckung zu Deckung nichts wie raus aus der Gefahrenzone. Dieses landläufige, von Kriegsfilmen geprägte Bild vom “Rüückzuug” steht jedoch nur für die halbe Wahrheit. Denn im gängigen Militär-Jargon wird feinsäuberlich unterschieden zwischen der taktischen Gefechtsvariante des Rückzugs und der nackten Flucht. Wer sich im Gefecht zurückzieht, vom Gegner löst oder “ausweicht”, tut dies kontrolliert, nach Plan, in der Regel gedeckt durch eine Nachhut und nur soweit bis mit dem Erreichen der “inneren Linie” das Gleichgewicht zwischen Angreifer und Verteidiger wieder hergestellt ist. – Aber was hat das alles mit unserer durchpazifizierten Wirklichkeit zu tun? Was kann der dem Militärischen Entwöhnte mit solchen Begrifflichkeiten heute überhaupt noch anfangen? Ist die einzige, heute noch gängige Bewegungsart, nicht der “Fortschritt”? Und überhaupt: Wohin soll er denn gehen der Rückzug auf unserer waidwunden Kugel? „Rückzug“ weiterlesen

Unterm Regenbogen

München leuchtet!* – Vielleicht nicht ganz so hell, kulturgesättigt und kunstsinnig wie zur Zeit der Gebrüder Mann, der Gräfin Reventlow oder der Schwabinger Boheme um 1900, aber doch auffallend bunt. So bunt, dass selbst der ansonsten so nüchterne Oberbürgermeister starke Leuchtmittel hervorholt, um anläßlich der Fußball-Europameisterschaft das heimische Fußballstadion mit dem Regenbogen zu illuminieren. – Was ist da los? Was hat es auf sich mit der EM 2021 und mit der neuen Buntheit auf und neben dem Platz? Und wo ist eigentlich der sportliche Kern der Sache abgeblieben? „Unterm Regenbogen“ weiterlesen

Naher Osten

Seit mindestens zweieinhalb Jahrtausenden spiegeln sich Okzident und Orient an den östlichen Ufern des Mittelmeeres. Zumeist als Gegenbilder, oft aber auch als Vorbilder aufeinander bezogen, haben beide Seiten über Jahrhunderte hinweg in diesem hin und her wogenden Bruderzwist ihr jeweiliges Selbstbild geformt. Diese historisch-kulturellen, in der Regel religiös unterfütterten Konfliktlinien wirken bis heute nach und haben durch das Erstarken des radikalen Islamismus seit 2001, also in den vergangenen 20 Jahren, wieder deutlich an Brisanz gewonnen. Trotz 9/11, trotz Al Kaida und trotz der Attentatsserien des Islamischen Staats kommt uns beim Begriff “Naher Osten” jedoch weniger dieser untergründig fortwirkende Großkonflikt in den Sinn, sondern viel mehr das verwirrende Kaleidoskop inner-nahöstlicher Regionalkonflikte. „Naher Osten“ weiterlesen

Rettet den Diskurs!

Die Debattenkultur in unserem Land ist seit vielen Jahren notleidend. So notleidend, dass wir schon dachten, es könnte eigentlich nicht mehr schlimmer kommen. Doch wir wurden eines Anderen belehrt: Kamen schon die sog. “Flüchtlingsdebatte”, die “Euro-Debatte” und große Teile der “Klima-Debatte” als diskursive Tiefflüge daher, so lassen einen die aktuellen  Auswüchse der “Corona-Debatte” beinahe ratlos zurück. „Rettet den Diskurs!“ weiterlesen

Mündige Bürger

“Habe den Mut, Dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!” – Mit dieser etwas pathetisch anmutenden Losung erreichte das Zeitalter der Aufklärung Mitte der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts einen markanten Höhepunkt. Wie ein Leuchtfeuer strahlt diese Kantsche Wendung seit nunmehr fast 250 Jahre in unsere Wohnstuben, unsere Hörsäle und in unsere oft leider nur noch schummerig beleuchteten Debattenräume. – Was ist aus dieser Formel und aus ihrem Wirkungsfeld geworden? Haben wir gegenüber den Antipoden, den Mächten der Gegenaufklärung, noch die Oberhand? Ist das autonome, vernunftbegabte Wesen als treibende gesellschaftliche Kraft überhaupt noch unter uns? Oder ist unsere Welt nicht längst viel zu komplex und unübersichtlich geworden, um sie in die Hände von Millionen eigenverantwortlich handelnder Individuen zu legen? „Mündige Bürger“ weiterlesen

Die Geldmacher

Elon Musk, Jeff Bezos, Warren Buffett, Bill Gates – Wer kennt Sie nicht? Die Superreichen, die Profiteure der großen Börsen-Bonanza, die mit Ihren astronomischen Milliardenvermögen die Hit-Listen von Forbes und The World`s Billionaires anführen. Woher kommt dieser Reichtum? Ist das noch normal? Gabs das früher auch schon? Ja, klar! John D. Rockefeller, Andrew Carnegie und Cornelius Vanderbilt hatten in ihrer Zeit mindestens den gleichen Krösus-Status wie ihre aktuellen Nachfahren. Auch sie haben bisher nie dagewesene Reichtumsrekorde gebrochen und jeweils Geldvermögen angehäuft, das Normalsterbliche in ihrem Leben niemals ausgeben können. – Also doch nichts Neues unter der Sonne? Neues Geld folgt halt auf altes Geld und wie im ausgehenden 19. Jahrhundert scheinen auch in diesen Tagen die hell strahlenden Leuchttürme der Milliardäre jenseits des Atlantiks im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu stehen. „Die Geldmacher“ weiterlesen

Back to the tribes

Der Mensch – wer will es bestreiten – ist ein Herdentier. Geprägt vom Leben in der gefahrvollen Wildnis haben bereits unsere hominiden Vorfahren die Nähe zu anderen Menschen gesucht und dabei über Jahrtausende hinweg die Solidarität in der kleinen Einheit eingeübt. Um so größer die gesellschaftlichen Einheiten wurden und um so anspruchsvoller das Leben in den sich herausbildenden Hochkulturen, um so herausfordernder wurden die Aufgaben der Solidaritätsvermittlung. Einsame Höhen erreichte dieser humane Vermittlungseifer in den modernen, säkularen Demokratien, die bekanntlich – so Ernst-Wolfgang Böckenförde – “die Voraussetzungen ihrer Existenz nicht selbst garantieren können”. Die Triumphe der bürgerlich-liberalen Demokratien über die feudale Ständegesellschaft und den real existierenden Sozialismus waren somit alles andere als vorhersehbar. Und wenn sich heute in den befriedeten Zonen des entwickelten Westens neue mächtige Spaltpilze emporrecken, dann ist das für die sensiblen Systeme aus dem gleichen Grunde mindestens ebenso gefahrenträchtig. Vor allem deshalb, weil sich die innergesellschaftliche Spaltung nicht nur entlang von zwei oder drei Trennungslinien vollzieht, sondern geradewegs in einen vielfarbigen Flickenteppich aus modernen Stämmen zu münden droht. „Back to the tribes“ weiterlesen

Schattenarmee

Kein Land der westlichen Welt hat in den zurückliegenden Jahrzehnten auf so dramatische Weise mit allem Militärischen gebrochen, wie Deutschland. Dass es im Jahre 2021 in der Mitte Europas überhaupt noch so etwas gibt, wie eine bewaffnete Streitmacht, grenzt fast an ein kleines Wunder und dürfte wohl eher äußerem Druck seitens der Verbündeten als innerem Antrieb zu verdanken sein. Warum ist das so? Warum kommt der  Bundeswehr, der ersten wirklich demokratisch legitimierten Streitkraft auf deutschem Boden, ein so geringer Stellenwert zu? Warum ist die Distanz zwischen Armee und Gesellschaft in Deutschland so gewaltig? Haben wir einfach die Kraft verloren uns selbst zu verteidigen? Oder kommen wir gar  – angesichts unserer historischen Verantwortung – an einer durchgreifenden Demobilisierung nicht vorbei? „Schattenarmee“ weiterlesen